Donnerstag, 2. Februar 2012

Artikelserie „Fakten im Gesundheitswesen“ Teil 1

Akzeptieren Sie drei Fakten im Gesundheitswesen. Leben Sie mit der Realität und richten Sie Ihr Handeln danach aus:

Erstens:
Die medizinische Versorgung ist rationiert und der Umgang mit knappen Mitteln längst Realität für Patienten, wie Heilberufe.

Zweitens:
Die Finanzierung im Gesundheitswesen ist bereits dual und für eine umfassende Gesundheitsleistung sind die Bürgerinnen und Bürger bereit über die gesetzliche Versicherung hinaus Eigenleistungen zu erbringen.

Drittens:
Von der Politik ist keine Unterstützung zu erwarten und Sie sollten Ihre unternehmerische Strategie unabhängig davon machen.


In einer Artikelserie führen wir diese drei Fakten aus und geben im letzten Teil der Artikelserie Empfehlungen für das unternehmerische Handeln verschiedener Akteure im Gesundheitswesen ab.


Bilden Sie sich Ihre Meinung und diskutieren Sie mit!


Heute lesen Sie:

1. Die medizinische Versorgung ist längst rationiert
Wenn gesagt wird, dass jeder gesetzlich versicherte Bürger jederzeit die volle medizinische Versorgung in Anspruch nehmen kann, dann stimmt dies schon längst nicht mehr mit der Versorgungsrealität überein.

Arzneimittel
Ein chronisch Kranker bekommt immer wieder wechselnde Medikamente verschrieben, abhängig davon mit welchem Hersteller seine Krankenkasse aktuell einen Rabattvertrag geschlossen hat. Objektiv kann es sein, dass die Wirkstoffzusammensetzung gleich ist und die Generika tatsächlich austauschbar sind. Doch die Patienten klagen immer wieder über Umstellungsschwierigkeiten, die von Ärzten und Apothekern abgewiesen werden, da sie nicht nachweisbar seien1. Aber ebenso wenig können Wechselwirkungen von mehr als zwei Medikamenten von einem Menschen abgeschätzt werden2. Subjektiv jedoch nimmt der Patient die Unterschiede wahr. Zudem entsteht der Eindruck er sei von seiner Krankenkasse abhängig und einem ständigen Preisdiktat unterworfen. Denn der Patient bezahlt einen monatlichen Beitrag, der in Relation zu seinem Einkommen als hoch erachtet wird, kann jedoch nicht über die Verwendung seiner Gelder entscheiden.

Ambulante ärztliche Versorgung
Es gibt verschiedene Studien über die Wartezeiten auf Facharzttermine. Es gibt zahllose Berichte von überfüllten Wartezimmern beim Hausarzt3. Und wer klagt nicht darüber, dass der Arzt nur noch in seinen Monitor blickt und zu wenig Zeit hat, die wirklichen Anliegen eines Patienten eingehend zu beurteilen. Vom Arzt wird Akkordarbeit verlangt – der Patient nimmt dies als Einschränkung wahr.
Kurioserweise geht der Patient desto öfter zum Arzt, je weniger seine Fragestellung umfassend und zufriedenstellend beantwortet werden konnte4. Natürlich hat der Patient die Einstellung, dass für die hohen monatlichen Beiträge zur Krankenkasse auch ein Anspruch darauf besteht, jederzeit und so oft wie man möchte zum Arzt gehen zu können5. Ein merkwürdiger Kreislauf.
Und das perfide: Je mehr Patienten zum Arzt gehen um so weniger bekommt der Arzt pro Visite bezahlt. Sinkende Stückerträge: Das nimmt der Arzt als Rationierung wahr6.
Die kassenärztlichen Vereinigungen versuchen ein ums andere Mal die Vergütung gerechter zu machen7. Und es gelingt auch mit politischer Hilfe immer wieder mehr Geld in die ambulante Versorgung fließen zu lassen. Aber letztlich kommen für den einzelnen Arzt immer weniger durchschaubare Regelungen dabei heraus, die das unterschwellige Gefühl einer wirtschaftlichen Unsicherheit verschärfen8. Und letztlich entsteht doch nichts anderes als eine andere Verteilung derselben begrenzten Mittel. Mal ganz davon abgesehen, dass die Vergütung sich an der Pathogenese, also der Krankheit an sich und der Einzelfallleistung, orientiert anstatt am Gesundwerden, der Salutogenese. Aber das ist noch ein ganz anderes Thema...

Stationäre ärztliche Versorgung
Es ist wahrlich zu begrüßen, wenn der wirtschaftliche Umgang mit den Finanzmitteln gefördert wird. Daher hat die Einführung der Fallpauschalen im Krankenhaus grundsätzlich Überkapazitäten und Unproduktivitäten abgebaut. Mit dem Rückgang der durchschnittlichen Verweildauern sind auch die Bettenkapazitäten zurückgegangen und trotzdem ist der Zugang zur stationären medizinischen Versorgung nach wie vor zeitnah gegeben9. Außerdem haben private Klinikketten gezeigt, dass Sie mit hoher Versorgungsqualität und einem guten Versorgungsstandard in neu gebauten oder sanierten Häusern einen Gewinn erzielen können. Die Privaten haben die Prozesse im Griff.
Aber fragen Sie mal das Krankenhauspersonal oder die Patienten, ob diese eine Veränderung wahrnehmen. Sie werden hören, dass sich die Taktung des Pflegealltags erhöht hat – bei nur unwesentlich gestiegenen Personalkosten – und die Attraktivität des Pflegeberufs darunter leidet10. Auch wird man von Patienten hören, dass Ärzte, wie auch Pflegekräfte nur wenig Zeit haben und die Aufmerksamkeit für den Patienten leidet. Die Begriffe „rationell“ und „rationiert“ liegen hier sehr eng beieinander.
Professor Fritz Beske vom Institut für Gesundheits-System-Forschung Kiel fordert in diesem Zusammenhang eine offene Diskussion über Priorisierung und Rationierung. Aufgrund von Geldmangel können bereits heute medizinisch sinnvolle und notwendige Behandlungen von der Gesetzlichen Krankenversicherung oft nicht finanziert werden. Voraussichtlich wird es in Zukunft zu einer rein einnahmeorientierten Versorgung kommen, was bedeutet, dass das vorhandene Finanzvolumen darüber entscheidet, welche Leistungen finanziert werden. Daher ist eine Priorisierung, also eine Ordnung nach Wertigkeit, unabdingbar und eine Grundlage für eine transparente Rationierung - die sinnvolle Verwendung begrenzter Mittel11.

Lesen Sie im nächsten Artikel (Teil 2):
Die Finanzierung im Gesundheitswesen ist bereits dual und für eine umfassende Gesundheitsleistung sind die Bürgerinnen und Bürger bereit über die gesetzliche Versicherung hinaus Eigenleistungen zu erbringen.


1 „Herzstiftung gegen Rabattverträge“, Deutsche Herzstiftung, September 2008
2 „Risiken und Nebenwirkungen von Medikamenten oft unterschätzt“, Professor Dr. Bernd Drewelow, Mai 2006
3 „So lange sitzen Patienten in deutschen Wartezimmern“, Ina Hübener, September 2011 und
„Umfrage: Gesetzlich Krankenversicherte warten in den Praxen eine halbe Stunde - auf einen Termin 20 Tage“, BKK Pressemitteilungen, Juni 20
11
4 „Barmer GEK Arztreport 2010 Viele Patientenkontakte, wenig Zeit“, Januar 2010
5 “All-you-can-eat-Pillen”, Roland Tichy, August 2009
6 „Regelleistungsvolumina 2009“, Berufsverband Deutscher Internisten e.V., Dezember 2008
7 Bundesministerium für Gesundheit: Glossar: „Ärztliche Vergütung“
8 Diverse Veröffentlichungen, z.B.: „Montgomery fodert einheitliche Arzthonorare in ganz Deutschland“, Oktober 2010 oder bei der KBV
9 „Verweildauer in Krankenhäusern auf Tiefststand“, Statistisches Bundesamt Deutschland, Dezember 2008 und „2006: Höhere Auslastung der Krankenhausbetten“, Statistisches Bundesamt Deutschland, September 2007

10 Diverse Veröffentlichungen, z.B.: „Krankenhauspersonal muss entlastet werden“, Juni 2011 oder „Pfleger klagen über zu hohe Arbeitsbelastung“, November 2005
11 Pressemitteilung zur Pressekonferenz des IGSF am 07. September 2011 in Berlin



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